Diskriminierung von Kindern mit Migrationshintergrund beim Übergang in die Sekundarstufe I

Seit jeher wird in Deutschland das Postulat der Bildungsgerechtigkeit hervorgehoben. Dieses besagt, dass Bildungschancen unabhängig von Alter, Behinderung, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, sexueller Identität oder „sozialer Herkunft“ zu ermöglichen sind. Dass dieser Grundsatz in der Realität oft nicht beachtet wird, zeigt sich vor allem bei der Benachteiligung von Schüler/innen mit Migrationshintergrund im Schulleben. Besonders kritisch ist dies beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I zu sehen. Gerade dieser „Selektionsprozess“ nämlich stellt die Weichenstellung für den weiteren schulischen, beruflichen aber auch persönlichen Lebensweg eines Kindes dar. Nicht ohne Grund wird gefolgert: „So führt Diskriminierung im Bildungsbereich zu Diskriminierung im Alter“ (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Diskriminierung im vorschulischen und schulischen Bereich, S. 88).

Angesichts der Bedeutung des Schulübergangs war und ist die Thematik Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Studien. Schon seit 1960 er Jahren befasst sich die Bildungs- und Sozialforschung im Rahmen ihrer Untersuchungen zu der Ungleichbehandlung an Schulen vor allem mit dem Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I. Dabei konzentrierten sich die Studien vor allem auf die Benachteiligung von Schülern/innen aus unteren sozialen Schichten oder wegen des Geschlechts.

Die ernüchternden Ergebnisse internationaler Schulleistungsuntersuchungen wie PISA, TIMSS und IGLU Ende der 1990er Jahre führten wiederum zu einer verstärkten Forschung auf diesem Gebiet. Diese Untersuchen konnten nämlich übereinstimmend ein grundlegendes Defizit im deutschen Bildungssystem feststellen, nämlich die Unterschiede in der Bildungsbeteiligung und dem Kompetenzerwerb in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft und dem Migrationsstatus. Die nun folgenden Studien und verschiedene Forschungsprojekte, die zum Teil auch noch nicht abgeschlossen sind, brachten weitere Erkenntnisse zu den genauen Wirkungsmechanismen beim Übergang auf eine weiterführende Schule (vgl. Baumert/Maaz, Ziel und Anliegen der Studie in: Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule, BMBF (Hrsg.), S. 31 ff).

Zunehmend wurde auch die Benachteiligung von Schüler/innen mit Migrationshintergrund in die Forschung miteinbezogen. Bereits die Ergebnisse der PISA-Studien belegten, dass der Übergang in die Sekundarstufe I eine zentrale Hürde für Schüler mit Migrationshintergrund darstellt. Dies haben verschiedene Studien dann auch bestätigt. Die Folge der frühzeitigen Selektion stellt für Schüler mit Migrationshintergrund eine systematische Diskriminierung dar. Dabei werden sie doppelt benachteiligt. Ihnen werden faire Übergangsempfehlungen verweigert und als Folge davon können sie ihr Potential nicht richtig ausschöpfen (Fereidooni, Schule, Migration, Diskriminierung, S. 69).

Zudem stellte der Sonderberichterstatter der UN infolge seines Deutschlandbesuchs im Jahr 2006 fest, dass bei dem Auswahlprozess, der im Sekundarbereich I stattfindet die Schüler nicht angemessen beurteilt werden und dieser statt inklusiv zu sein exklusiv sei. Insbesondere wirkten sich die Einordnungssysteme auf arme Kinder und Migrantenkinder sowie Kinder mit Behinderungen negativ aus.

Auch beziehen sich viele Beratungsanfragen bei Antidiskriminierungsstellen auf Ungleichbehandlungen beim Übergangsprozess. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erklärt die Benachteiligung mit möglichen Vorurteilen von Lehrer/innen bspw. gegenüber Schüler/innen mit Migrationshintergrund (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Diskriminierung im Bildungsbereich und im Arbeitsleben, S. 53). Daneben werden auch Schüler/innen aufgrund ihrer Religion in diesem Bereich benachteiligt. So wird bspw. die Leistung von Schülerinnen mit Kopftuch häufig unterschätzt (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, S. 16).

Abgesehen von der Studienlage zeichnet sich die Problematik durch eine hohe Komplexität aus. So ist das deutsche Bildungswesen durch eine Fülle von Eigenheiten gekennzeichnet. Die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich liegt bei den Bundesländern. Diese weisen hinsichtlich des Übergangs in die Sekundarstufe I unterschiedlich Mechanismen auf. Zudem berührt die Übergangsentscheidung verschiedene Grundrechte von Eltern und Schülern. Dem steht auf Seiten des Staates der Erziehungs- und Bildungsauftrag nach Art. 7 Abs. 1 GG gegenüber. Schließlich besteht die Schwierigkeit, wie in der Praxis mit der dokumentierten Diskriminierung von Schülern/innen mit Migrationshintergrund bzw. muslimischen oder anderen Glaubens rechtlich umzugehen ist.

Eine rechtliche Aufarbeitung der Diskriminierung von Schüler/innen mit Migrationshintergrund und/oder muslimischen oder anderen Glaubens beim Übergang in die Sekundarstufe I erscheint angezeigt. Denn Darstellungen zu dieser Problematik, die insbesondere eine Hilfestellung für Betroffenen geben können, sind kaum vorhanden.